Kammermusik in der Toskana
beim Chamber Lab Montecastelli
Im heißen italienischen Sommer haben zwei Stipendiaten der Deutschen Stiftung Musikleben ihre kammermusikalischen Fertigkeiten erweitert. Benjamin Günst (Violine) erzählt in seinem Bericht von der intensiven Auseinandersetzung mit ganz unterschiedlichen Werken, von abendlichen „Vom-Blatt-spiel-Sessions“ und der ganz besonderen Arbeitsatmosphäre fernab des Gewohnten.
„Früh morgens wurde ich zusammen mit zwei anderen Musikern von einem Shuttle am Pisa Airport abgeholt. Es folgten anderthalb Stunden Fahrt auf kurvigen Straßen durch orange-gelbe Landschaft. Wir waren umgeben von Pinien, Olivenbäumen und Zypressen sowie von heißer, von Grillen bezirpter Luft. Währenddessen unterhielt ich mich mit dem Fahrer, Geigenbauer und gleichzeitig Eigentümer der von uns angesteuerten Unterkunft in Montecastelli. Wir sprachen über Hammerklaviere, Darmsaiten, historisch-informierte Aufführungspraxis und die wunderschöne Toskana, die wir durchquerten.
Bereits am ersten Tag wusste ich, dass auf mich eine herrliche Zeit wartete. Nicht nur, weil die Landschaft und Montecastelli selbst auf mich wie ein Paradies aus einem Gemälde wirkten, sondern auch, weil ich von Beginn an in Gesellschaft interessanter und netter Menschen war. In unserer Unterkunft in Montecastelli gab es eine Menge zu entdecken. Dabei zog vor allem die Sammlung außergewöhnlicher Saiteninstrumente, die auf die verschiedenen Räumlichkeiten verteilt war, mein Interesse auf sich. Im Saal stand ein massiver Hammerflügel aus Robert Schumanns Zeit, zudem gab es ein wunderschönes Cembalo und mehrere mit Darmsaiten bezogene Barockgeigen, -bratschen, sowie ein Barockcello. Wir hatten die Erlaubnis, auf den Instrumenten zu spielen und so verbrachten wir die ersten Abende damit, verschiedenste Kammermusikliteratur vom Blatt zu lesen. Uns allen haben diese Stunden großen Spaß gemacht – auch, weil die Notenbibliothek, die Teil des Ambientes war, unglaublich viel zu bieten hatte und man darin unendlich lang herumstöbern konnte. Dafür fiel es dann manchmal schwer, sich auf ein Werk zu einigen, weil jeder und jede seine/ihre eigenen Vorlieben hatte. Jedenfalls zählten die manchmal sogar nächtlichen Blattspiel-Sessions zu meinen persönlichen Highlights, weil man die Liebe und Leidenschaft zur Musik mit anderen teilen und sich dadurch besser kennenlernen und Freundschaften schließen konnte.
So sehr man in den 10 folgenden Tagen die vielen verschiedenen Annehmlichkeiten genießen konnte, sei es die 360-Grad-Aussicht hinunter auf die Felder und Hügel, der Pool mit Blick auf den Sonnenuntergang, die aus bester italienischer Küche stammenden Mahlzeiten oder die abendlichen Spiele und Gespräche, so muss ich trotzdem sagen, dass das Schönste für mich immer noch das Musizieren selbst war.
Es wurde jeden Tag geprobt und dazu gab es vormittags und nachmittags Unterricht. Ich habe in drei unterschiedlichen Ensembles drei unterschiedliche Werke erarbeitet und auch wenn das nach viel klingen mag, es gab trotzdem genug Zeit, erst selbstständig und dann zusammen mit den Dozenten Boris Kusnezow und Hanna Weinmeister in die Tiefe des Werks einzutauchen. Und für mich ist genau das von großer Bedeutung, weil ich persönlich immer allergischer werde gegen halbherziges und oberflächliches Einstudieren von Werken auf Grund von zu wenig Anspruch und Zeit. Und in einer solchen paradiesischen Umgebung, in dieser schon fast urlaubshaften, entschleunigten Atmosphäre, fernab von der Realität, gedeiht ein Kammermusikwerk doch am besten. Es wird nichts forciert und auch die beiden Abschlusskonzerte sind eher locker und ungezwungen. Da spielt man erst im Saal, dann draußen im Hof für ein interessiertes, freundliches Publikum und präsentiert die reifen Früchte der gemeinsamen Arbeit.
Es war wirklich nicht leicht, den Ort nach zehn Tagen wieder zu verlassen, zurück in die Realität zu reisen und sich von den Menschen, die einem ans Herz gewachsen sind, zu verabschieden. Am Ende war ich zwar sehr erschöpft, aber trotzdem beseelt und froh darüber, dass meine ohnehin schon hohen Erwartungen an den Kurs mehr als übertroffen wurden. Ich bedanke mich herzlichst für diese außergewöhnliche Erfahrung!“
Benjamin Günst
In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Kammermusik deutlich zugenommen. Das Musizieren in kleinen Ensembles ist für junge Musiker:innen eine gute Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit anderen Musiker:innen zu erlernen und an einem individuellen Repertoire zu arbeiten. Einen oder mehrere Kammermusikpartner:innen zu finden, ist jedoch gar nicht so einfach, wie uns immer wieder von unseren Stipendiat:innen zurückgemeldet wird. Genau hier setzt das Chamber Lab Montecastelli an. Boris Kusnezow, ehemaliger Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben und Professor für Klavierkammermusik an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig, hat es sich zur Aufgabe gemacht, kammermusikinteressierte Nachwuchskünstler:innen zusammenzubringen und dadurch die Gründung neuer Ensembles zu befördern. Die Deutsche Stiftung Musikleben unterstützt bis zu drei Teilnehmende mit einem Vollstipendium, in diesem Sommer ging diese Förderung an Callum McLachlan (Klavier) und Benjamin Günst (Violine).